Manchmal stolpern wir selbst: Über Websites, die auf dem Handy nicht lesbar sind, über Buttons ohne Funktion oder Formulare, bei denen wir nicht wissen, was eigentlich ausgefüllt werden soll. Für uns vielleicht ein kurzes Ärgernis. Für Menschen mit Einschränkungen eine echte Barriere.
Barrierefreiheit im Web bedeutet digitale Inhalte so zu gestalten, dass sie von allen Menschen genutzt werden können – unabhängig von Behinderung, Alter, Sprache oder technischer Ausstattung. Es geht nicht nur um Screenreader oder Tastaturnavigation. Es geht um Teilhabe.
Barrierefreiheit ist damit mehr als Technik. Sie ist Haltung. Wer barrierefrei denkt, denkt inklusiv, klar und zukunftsorientiert. Und ganz ehrlich? Es ist auch einfach gutes Marketing. Denn eine barrierefreie Website ist oft auch übersichtlicher, verständlicher und nutzerfreundlicher für alle – und wird von Google genauso geliebt wie von echten Menschen. Und übrigens auch von der KI.
Kurz: Barrierefreiheit ist kein Spezialthema, sondern ein Qualitätsmerkmal für moderne Kommunikation. Wir dürfen alle mal unsere Websites mal mit anderen Augen betrachten.
Was besagen die „Web Content Accessibility Guidelines“ (WCAG)?
Barrierefreiheit klingt erstmal abstrakt bis man beginnt, sie in Webseiten umzusetzen. Dann wird schnell klar: Ohne klare Richtlinien verheddert man sich schnell zwischen gut gemeint und gut gemacht. Genau deshalb gibt es die Web Content Accessibility Guidelines, kurz WCAG.
Sie definieren international gültige Standards für barrierefreie digitale Inhalte. Herausgegeben vom World Wide Web Consortium (W3C), bilden sie die Grundlage für gesetzliche Regelungen und praktische Umsetzung.
Im Kern folgen die WCAG vier Prinzipien:
wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust.
Eine Website muss also so aufgebaut sein, dass Inhalte erkennbar sind (z. B. durch Alternativtexte für Bilder), dass Nutzer:innen mit Tastatur oder Hilfstechnologie navigieren können, dass Texte und Abläufe verständlich sind – und dass der Code stabil funktioniert, auch in Verbindung mit Assistenzsystemen.
Die WCAG kennt drei Stufen: A (Basisanforderungen), AA (Standard) und AAA (hoher Anspruch). Für die meisten Websites ist Stufe AA relevant – auch rechtlich. Wer sich an diesen Standard hält, schafft nicht nur Zugang, sondern auch Vertrauen. Denn Barrierefreiheit ist messbar. Und sie beginnt mit dem Willen, digitale Kommunikation wirklich für alle zu denken.
Für wen gelten die Regeln ab dem 28. Juni – und wer ist ausgenommen?
Barrierefreiheit war lange ein Thema für den öffentlichen Sektor. Doch das ändert sich: Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) kommt am 28. Juni 2025 eine klare Verpflichtung für viele private Unternehmen. Was bislang „gut gemeint“ war, wird dann für viele zur rechtlichen Pflicht.
Konkret betroffen sind Anbieter digitaler Dienstleistungen und Produkte – also z. B. Onlineshops, Buchungsportale, Banken, Reiseanbieter oder Ticketdienste. Wer online verkauft, informiert oder interagiert, muss sicherstellen, dass seine digitalen Angebote barrierefrei sind.
Ausgenommen sind Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von unter 2 Millionen Euro. Auch rein interne Systeme oder private Websites ohne wirtschaftliches Interesse fallen nicht unter die Regelung.
Aber: Gesetzliche Pflicht ist das eine – gesellschaftliche Verantwortung das andere. Denn auch wer nicht unter das Gesetz fällt, kann durch barrierefreie Gestaltung zeigen, dass Inklusion ernst gemeint ist. Und wer früh beginnt, hat später keine Eile. Denn Übergangszeiten enden schneller, als man gucken kann.
Was müssen wir tun?
Barrierefreiheit entsteht nicht über Nacht. Sie ist kein Plugin und kein „Projekt für später“ – sondern eine Grundhaltung, die sich Schritt für Schritt in Technik, Design und Inhalt übersetzen lässt. Der wichtigste erste Schritt: Wissen, wo man steht.
Ein Website-Audit schafft Klarheit.
- Gibt es Alternativtexte für Bilder?
- Lässt sich alles per Tastatur bedienen?
- Sind Farben ausreichend kontrastreich?
- Funktionieren Formulare mit Screenreader?
Wer die häufigsten Stolpersteine identifiziert, kann gezielt handeln statt sich in Details zu verlieren.
Danach heißt es: priorisieren. Rechtlich relevante Seiten (z. B. Produktseiten, Checkout, Kontaktformulare) sollten zuerst barrierefrei gestaltet werden. Oft reichen schon einfache Maßnahmen: strukturierter HTML-Code, klare Beschriftungen, logische Überschriften, sprechende Links.
Nicht zu unterschätzen: der redaktionelle Anteil. Barrierefreiheit ist auch eine Frage der Sprache. Kurze Sätze, klare Struktur, verständliche Inhalte – das nützt nicht nur Menschen mit kognitiven Einschränkungen, sondern allen.
Und dann: testen, testen, testen. Mit Tools, aber auch mit echten Menschen. Denn am Ende zählt nicht nur, was technisch korrekt ist – sondern ob es wirklich nutzbar ist. Für alle.
Welche Tools gibt es, mit denen ich meine Website checken kann?
Wer Barrieren abbauen will, muss sie erkennen. Dafür gibt es inzwischen viele gute Tools, die Webseiten auf Barrierefreiheit prüfen; schnell, kostenlos und wirklich aufschlussreich.
Unsere drei Favoriten:
🔍 WAVE (Web Accessibility Evaluation Tool)
Ein Klassiker. Direkt im Browser nutzbar (wave.webaim.org), zeigt WAVE anschaulich, wo Fehler, Warnungen oder Verbesserungspotenziale liegen – z. B. fehlende Alternativtexte, zu geringe Kontraste oder fehlerhafte Strukturen.
🔧 axe DevTools (von Deque)
Ein Entwickler-Tool, das als Browser-Erweiterung genutzt wird. Besonders hilfreich für alle, die tiefer einsteigen wollen. Es markiert Barrieren direkt im Quellcode und liefert Erklärungen, warum genau etwas ein Problem ist – und wie man es behebt.
🌐 Google Lighthouse
Bereits im Chrome-Browser integriert. Es prüft nicht nur Barrierefreiheit, sondern auch Performance, SEO und Best Practices – ein echtes Multitalent. Die Accessibility-Analyse basiert auf den WCAG-Kriterien.
Diese Tools finden viele – aber nicht alle – Barrieren. Sie ersetzen keine echte Nutzerperspektive.
Legt doch mal die Maus zur Seite und prüft, ob alles klappt bei eurer Webseite. Wo hakt es? Wo fühlt ihr euch unsicher?
Oder lasst euch eure Website von Screenreadern wie NVDA, JAWS oder VoiceOver vorlesen. Was sagt ihr zum Ergebnis?
Achtung beim Prüftest – wird nur geprüft oder auch behoben?
Viele Anbieter werben mit schnellen „Accessibility-Checks“. Klingt gut – ist es auch, solange man weiß, was man bekommt. Denn ein Prüfbericht ist noch keine Lösung. Zwischen Analyse und tatsächlicher Barrierefreiheit liegen die berühmten Welten.
Warum?
- Der Test zeigt, dass Alternativtexte fehlen – aber niemand liefert sie nach.
- Oder ein Formularfeld ist nicht beschriftet – aber niemand ändert den Code.
Der Prüfbericht landet im Projektordner, Haken dran, Thema erledigt. Nur: Für Nutzer:innen mit Einschränkungen bleibt alles wie vorher. Und dem Gesetz ist damit auch nicht Genüge getan.
Deshalb gilt: Genau hinschauen. Wird nur getestet –oder auch technisch angepasst? Wer übernimmt die Umsetzung? Gibt es Unterstützung für redaktionelle Inhalte? Wird mitgedacht oder nur durchgeprüft?
Gute Dienstleister liefern keine PDF-Berichte, sondern verständliche Empfehlungen, konkrete Umsetzungspläne und, im Idealfall, gleich die Umsetzung mit.
Barrierefreiheit geht uns alle an
Barrierefreiheit betrifft nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern alle, die irgendwann mal ein gebrochenes Handgelenk, ein älteres Smartphone, eine schlechte Internetverbindung oder einfach nur einen schlechten Tag haben.
Selbst wenn dein Unternehmen nicht gesetzlich verpflichtet ist: Barrierefreiheit ist ein Signal. Sie zeigt, dass du verstanden hast, worum es im digitalen Raum wirklich geht: Um Zugang, Teilhabe und Respekt.
Wer seine Website auf grobe Barrieren prüft und Schritt für Schritt verbessert, tut nicht nur Gutes. Ihr gewinnt auch an Sichtbarkeit, Vertrauen und Nutzbarkeit. Barrierefreiheit verbessert oft ganz nebenbei SEO, KI-Trust und Markenwahrnehmung.
Unser Rezept: Nicht warten, bis du musst.
Jetzt anfangen. Pragmatisch, mit gesundem Menschenverstand und den richtigen Tools. Digitale Inklusion beginnt nicht bei der Gesetzeslage, sondern bei der Frage: Wen will ich erreichen und wen schließe ich gerade noch aus?